Einen Vorgeschmack, wie eigensinnig und rücksichtslos zukünftig eigene Datei- und Übertragungsformate im Internet von Computer-Multis bestimmt und verteidigt werden könnten, zeigen derzeit der größte Softwarehersteller Microsoft und der größte Online-Dienst AOL. In einer richtigen Schlammschlacht, die publikumswirksam im Internet in allen Details ausgetragen wird, wird versucht, mit virtuell roher Gewalt den Markt der so genannten Instant Messenger für sich zu sichern.
Den Boom der Instant Messenger leitete 1997 die kleine israelische Softwarefirma Mirabilis mit einem kleinen, kostenlosen Programm namens ICQ ein. Mit ICQ wurde es möglich, mit Nutzern direkt per Chat zu kommunizieren und Daten zu übertragen. Zur Kontaktaufnahme bekommt jeder ICQ-Benutzer bei seiner ersten Anmeldung eine eindeutige ICQ-Nummer, mit der er sich beim ICQ-Server anmeldet, sobald er online ist. Als besonderes Feature hat ICQ eine "Buddy-Funktion", mit der jederzeit geprüft werden kann, ob ein bestimmter ICQ-Benutzer online ist.
Den Boom, den Mirabilis mit ICQ auslöste, war ohne Gleichen: Innerhalb kürzester Zeit wurde das Programm millionenfach heruntergeladen und installiert, so dass sich recht schnell eine große Community aufbaute. Dies war wohl auch für den Online-Dienst AOL das entscheidende Signal, als er 1998 die Firma Mirabilis aufkaufte. AOL hatte bis dato mit seinem AOL Instant Messenger (AIM), mit dem Kontakt zwischen allen AOL- und AIM-Nutzern aufgenommen werden konnte, keinen so rechten Erfolg.
Der rasende Erfolg des Instant Messaging rief auch Microsoft auf den Plan: Der Microsoft-Ableger Microsoft Network (MSN), zuständig für die Online- und Community-Aktivitäten von Microsoft, plante deshalb einen eigenen Instant Messenger, genauso wie einige große US-Provider und Suchmaschinen. Als besonderes "Feature" bot der MSN Messenger auch die Möglichkeit, sich direkt in den AIM-Service einzuloggen. Ein Punkt, der nicht im Interesse von AOL lag.
Hier nun in chronologischer Reihenfolge die bisherigen Geschehnisse und Scharmützel, die in den darauf folgenden Wochen zwischen AOL und Microsoft abliefen:
Donnerstag, 22. Juli 1999
Microsoft veröffentlicht die endgültige Version des
MSN Messengers auf seiner Homepage, mit der es möglich ist,
den AIM-Service über den MSN Messenger zu benutzen, wenn der
AIM Messenger auch auf dem Rechner installiert ist. AOL
kritisiert das Vorgehen des MSN Messengers als einen
"unautorisierten Eingriff in einen internen Bereich" seines
Dienstes und vergleicht es mit Hacken. Microsoft kontert,
dass sein MSN Messenger eine "Trennwand zwischen
abgeschotteten Communities" öffnen würde. AOL ändert zum
ersten Mal das AIM-Protokoll ab, so dass alternative
Instant Messenger nicht mehr auf den AIM-Service zugreifen
können.
Samstag, 24. Juli 1999
Microsoft veröffentlicht einen "Bugfix" für seinen
MSN Messenger, mit dem der Zugang zum AIM-Service wieder
möglich ist. AOL ändert zwei Stunden später wieder sein
AIM-Protokoll ab, so dass der Zugang von Microsofts Instant Messenger (und nun auch vom Instant Messengers des
US-Providers Prodigy) wieder nicht mehr funktioniert.
Donnerstag, 29. Juli 1999
Microsoft wendet sich in einem offenen Brief zusammen mit
Repräsentanten von Excite@home, Activerse, Tribal Voice,
Prodigy Communications, Yahoo, AT&T und Infoseek direkt an
den AOL-Präsidenten Steve Case und bittet ihn, an der
Entwicklung eines einheitlichen Instant-Messenger-Standards
mitzuarbeiten und bis zur Verabschiedung eines solchen
Standards allen inoffiziellen Instant Messengern freien
Zugang zum AIM-Service zu gewähren. AOL bildet seinerseits
eine Koalition für einen eigenen Instant-Messenger-Standard
aus Repräsentanten der Firmen Mirabilis, Real Networks, Sun,
der Internet Engineering Task Force, dem
Netscape-Mitbegründer Mark Andreessen und dem Apple-Chef
Steve Jobs.
Mittwoch, 4. August 1999
AOL sendet an alle Nutzer von inoffiziellen
Instant Messengern eine Nachricht, sobald diese versuchen,
sich mit dem AIM-Service zu verbinden. In dieser Nachricht
schreibt AOL, dass der Nutzer gerade versucht, mit einer
nicht autorisierten Software Zugang zum AOL-Netzwerk zu
erhalten und fordert ihn auf, den AOL-eigenen Instant
Messenger herunterzuladen.
Freitag, 6. August 1999
Microsoft veröffentlicht erneut eine modifizierte Version
des MSN Messenger. AOL trennt Chats zwischen AIM-Nutzern und
Nutzern von inoffiziellen Instant Messengern und sogar Chats
zwischen Nutzern von inoffiziellen Instant Messengern mit
dem gleichen Hinweistext, dass der Nutzer gerade versucht,
mit einer nicht autorisierten Software Zugang zum
AOL-Netzwerk zu erhalten und fordert ihn auf, den
AOL-eigenen Instant Messenger herunterzuladen.
Sonntag, 8. August 1999
Microsoft kündigt an, kostengünstige und eventuell sogar
kostenlose Internetzugänge anzubieten und damit in direkte
Konkurrenz zu AOL zu treten.
Sonntag, 22. August 1999
Microsoft verkündet, den Quellcode des MSN Messengers als
Open Source freizugeben, um auf die Weise die Entwicklung
eines einheitlichen Standards weiter anzukurbeln.