Dass einige Nationen dieser Erde attraktive Top-Level-Domains besitzen, dürfte inzwischen bekannt sein. Zum Beispiel hat die kleine Nation Tonga schon frühzeitig erkannt, dass mit ihrer Top-Level-Domain ".to" so allerhand Wortspielchen betrieben werden können und hat 1997 in ihrer Botschaft in San Francisco ein NIC zum Registrieren von Domains unter der Top-Level-Domain ".to" eingerichtet. Ähnliches gibt es auch mit der Top-Level-Domain von Turkmenistan (".tm"), Armenien (".am") oder der Demokratischen Republik Kongo (".cd"). Diese kreative Nutzung von nationalen Top-Level-Domains ist nicht verboten und durchaus eine gängige Praxis, obwohl die IANA über diese Grauzone nicht gerade erbaut ist.
Für deutsche Verhältnisse interessant ist unter anderem die Top-Level-Domain ".ag" der Nation Antigua und Barbuda, einem Inselstaat in den Antillen. Mit dieser hübschen Top-Level-Domain lässt sich so mancher Firmenname aufpolieren, in seiner vollen Geltung zeigen oder einfach nur warme Luft erzeugen. Jedoch war dies lange Zeit nicht möglich, da Antigua und Barbuda erst im Sommer 1998 ein NIC zum Registrieren eingerichtet haben. Dennoch konnte man ja vorher mal etwas versuchen...
Aus der Root-Zonendatei (Zonendatei der Root-Server, herunterladbar unter anderem vom FTP-Server des InterNIC) lassen sich die Adressen der Primary und Secondary Nameserver aller konnektierten TLD ablesen, darunter auch die beiden Nameserver der TLD ".ag". (Primary: TRANTOR.UMD.EDU - Secondary: UPR1.UPR.CLU.EDU).
Aus reinem Interesse habe ich per NSLOOKUP den Secondary Nameserver, ein Rechner der Universität von Puerto Rico kontaktiert und die Zone-File der Zone ».ag« herunter geladen. (HINWEIS: Das Herunterladen von Zone-Files stellt keinen Hackerangriff dar, da anhand dieser Zone-Files Domainadressen aufgelöst werden und diese Einträge deshalb öffentlich zugänglich sein müssen.)
Sehr interessant. Zu der Zeit, als ich diese Zone-File herunter lud, existierte offiziell keine Registrierungsstelle für Domains von Antigua und Barbuda. Trotzdem tummelten sich im Zone-File eine Menge namhafter, deutscher Aktiengesellschaften, darunter einige Chemiekonzerne, Großbanken, Automobilhersteller, eine Kaufhauskette, ein großes Telekommunikationsunternehmen und einige andere mehr. Eine noch nähere Betrachtung des Zone-Files ergab noch seltsameres: Nicht wenige Domains von Unternehmen (genau genommen waren es fast alle), die in dieser Zone-File eingetragen waren, hatten ein und dieselben autoritativen Nameserver: (HINWEIS: Domainname wurde mit »XXX« unkenntlich gemacht.)
Query:All records (ALL):XXX.ag. XXX.ag. IN NS NS29.PAIR.COM. XXX.ag. IN NS NS0.NS0.COM. NS29.PAIR.COM. IN A 209.68.1.67 NS0.NS0.COM. IN A 207.87.178.7 Complete: XXX.ag.
Alle getesteten Firmen im obigen Ausdruck haben allesamt eigene Websites mit deutschen ".de"-Adressen. Gibt man nun aber einer der oben genannten ".ag"-Domains mit der Subdomain "www" in einen Browser ein, erscheint die normale Homepage der entsprechenden Firma. Sollte man jedenfalls als Außenstehender meinen, jedoch ist das nicht ganz so:
Alle Domains verweisen auf eine Seite auf einem einzigen Server, die zwei Frames im Browserfenster aufbaut. Das obere Frame ruft den URL der Originalseite des Unternehmens auf, während das untere Frame, nahezu unsichtbar, einen Counter enthält, der bei allen getesteten Sites gleich aussieht und ebenfalls lokal auf dem Webserver von Pair stationiert ist.
Pair Networks ist übrigens ein führender Anbieter von Webspace, der Full-Service in diesem Bereich anbietet. Zu diesem Zweck unterhält Pair mehrere Name- und Webserver, die allesamt durchnumeriert sind. Allerdings verhält sich Pair in seiner Informationspolitik äußerst bedeckt, was allerdings in dieser Preis- und Brisanzklasse auch nicht unüblich ist.
Jedenfalls liegt der Verdacht nahe, dass die getesteten Domains unter der Top-Level-Domain ".ag" nicht im Besitz der verlinkten Firmen ist, sondern von einer Person oder Firma registriert worden sind, die evt. versucht, die Domains teuer an die entsprechenden Interessenten zu verkaufen. (Das würde auch den Counter erklären, der auf die Weise als elegantes Druckmittel dienen könnte.) Dieser Domainhandel ist zwar in einigen Ländern, auch in Deutschland, inzwischen verboten, jedoch handelt es sich um Domains, die in Antigua und Barbuda angemeldet und registriert sind, weshalb dortiges Recht anzuwenden wäre. Ein nahezu aussichtsloser Kampf.
Ich hatte mich auf eine komplizierte Suche nach dem Besitzer der Domains eingestellt, als die Lösung praktisch zum Fenster hinein geflogen kam: Eine fingierte E-Mail eines Informanten an die Webmaster-E-Mail-Adresse einer ".ag"-Domain, in der unschuldig gefragt wird, wo man eine Domain mit der Top-Level-Domain ".ag" beantragen könne, wurde folgendermaßen beantwortet:
"Die von Ihnen gewünschten Informationen finden Sie unter www.GlobalEnterprises.AG."
Abgeschickt wurde diese Mail von einem Account des Onlinedienstes Compuserve. Nanu, verschickte der Webmaster eines Großkonzern seine geschäftlichen E-Mails per Onlinedienst? Wohl kaum. Ein (langwieriger und nebenstellenverschleißender) Anruf in der Pressestelle eines betroffenen Unternehmens in Stuttgart ergab ebenfalls, dass man dort keinerlei Informationen über eine eigene ".ag"-Domain habe.
Ein Blick auf die (nur deutschsprachige) Homepage von "Global Enterprises" machte die ganze Sache noch merkwürdiger: "Global Enterprises" ist ein Unternehmen mit Sitz in St. John's auf Antigua, das "Internet-Dienstleistungen" anbietet. Diese erstrecken sich, laut Website, auf Anmeldungen von Domainnamen, "Immobilienschnäppchen im München", Börsensoftware und vieles mehr.
Interessant auf der Site war der oberste Link namens "AG-Domain-Registrierung". Ein Klick dorthin führt uns auf eine Site, auf der eine "reizvolle Möglichkeiten" bietende Domain unter der TLD ".ag" für "nur" 379,- DM pro Jahr benutzt werden kann. Allerdings wird von "Global Enterprises" eine ".ag"-Domain nur umgeleitet, d.h. wird diese aufgerufen, wird auf eine vorhandene Site verwiesen. Eine externe Konnektierung (eigener Nameserver für die Domain) bietet die Firma nicht an, so dass einzig und allein "Global Enterprises" Macht über die Domain hat.
Neben der Anmeldung einer eigenen Domain kann man per Hyperlink auch zu http://www.domain-market.de/ springen, auf der unter anderem angeblich lukrative ".ag"-Domains (z.B. kredit.ag, immobilien.ag usw.) ersteigert werden können.
Richtig interessant wird es auf der weiterführenden Seite »Liste von AG-Domänen, die bereits von Firmen aus dem deutschsprachigen Raum genutzt werden« (http://www.globalenterprises.ag/aglist.htm). Hier finden wir nämlich einige Firmen, die bereits eine ".ag"-Domain bei "Global Enterprises" gekauft haben und genau die gleichen Nameservereinträge wie die obigen Einträge haben. Klickt man die Links dieser Firmen an (z.B. "Deutsche Telekom AG", http://www.dt.ag/), erscheinen auch die Original-Website der Firmen, allerdings eben mit dem Unterschied, dass sie nicht direkt aufgerufen werden, sondern über die ".ag"-Website, die im Prinzip nur aus einer Startdatei besteht, die die Original-Website aufruft. Und mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass diesmal kein Counter in einem zusätzlichen Frame versteckt mitzählt.