Wird der Mensch durch das Internet einsam?

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von Besim Karadeniz

Die Faszination Computer

Um das Phänomen Internet zu verstehen, ist es zunächst ratsam, das Phänomen Computer verstehen zu lernen. Wohl keine andere technische Entwicklung hat in so kurzer Zeit so tief greifend das Leben des Menschen verändert, wie der Computer. Computer zeigen uns die Uhrzeit an, Computer lassen uns Geld abheben, Computer steuern unser Auto mit und vieles mehr. Diese Typen von Computer arbeiten im Hintergrund, wir treten also hier in den seltensten Fällen in direkte Interaktion mit einem Computer.

Ein Computer am Arbeitsplatz oder zu Hause erfordert auf jeden Fall eine direkte Interaktion. Dieser hat meist keine vorbestimmte Aufgabe wie zum Beispiel ein Geldautomat, sondern soll zur Bewältigung von Arbeitsaufgaben oder zur Unterhaltung dienen. Schon allein hier nimmt der Computer eine Menge an sozialen Bindungen, die früher für den gleichen Arbeits- beziehungsweise Unterhaltungswert notwendig waren: Komplexe Arbeitsvorgänge am Computer waren vor dem Computerzeitalter oft Sache von mehreren Mitarbeitern, Computerspiele ersetzen oft den/die menschlichen Spielkameraden.

Diese Entwicklungen lassen sich bis in dramatische Extreme steigern: Immer mehr komplexe Arbeitsvorgänge können soweit automatisiert werden, dass für immer mehr Aufgabenstellungen immer weniger menschliche Arbeitskraft gebraucht wird, der einzelne Nutzer verbringt immer mehr Zeit vor dem Computer. Schon hier machen sich oft Verluste von sozialen Bindungen bemerkbar, die im Normalfall zuerst immer nur von Angehörigen des Nutzers bemerkt und angesprochen werden, vom Nutzer jedoch (zumindest in der ersten Zeit) belächelt und verdrängt werden.

Die Faszination Vernetzung

Die Vernetzung bietet zwar unendlich mehr Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung mit sich, jedoch auch eine große Menge an zusätzlichem Druck und Stress. Arbeitsmaterial ist zwischen vernetzten Rechnern oft erheblich schneller vorhanden und kann dementsprechend schneller bearbeitet werden; Produktionszeiträume werden enger bemessen und die überproportional ansteigende Verantwortung polarisiert sich auf immer weniger bearbeitende Menschen, die bei Störungen oft hilflos der komplexen Materie ausgesetzt sind. Dank immer geringer gewordener Produktionstoleranzen sind solche Störungen oft extrem kostenintensiv. Einzelne Nutzer eines Netzwerkes werden innerhalb des Netzwerkes immer weniger als Individuen angesehen, sie sind austauschbar.

Die weiter fortschreitende Vernetzung macht viele Dinge einfacher: Der Weg zur Bank entfällt, Bankgeschäfte können direkt am Computer vorgenommen werden. Viele andere Dinge können inzwischen ebenfalls im Internet bestellt werden, 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche. Selbst der Pizzabringdienst oder der Lebensmittelhändler ist im Internet vertreten und liefert Bestellungen auf Knopfdruck. Alles Annehmlichkeiten, die das Leben bequemer machen, jedoch auch nachteilig für die zwischenmenschlichen Beziehungen sein kann, der Nutzer kommt immer weniger "unters Volk".

Ähnliche Züge lassen sich schon bei so genannten LAN-Partys beobachten, dem klassischen Kaffeekränzchen des Computerzeitalters: Computerbegeisterte treffen sich hierzu an einem Ort und vernetzen ihre Computer zu einem LAN. Im Gegensatz zu einem herkömmlichen Kaffeekränzchen wird jedoch nicht über Gott und die Welt gesprochen, sondern nur noch über Computerthemen. Die neuesten Errungenschaften werden vorgeführt und gleich getestet. Obwohl bei LAN-Partys mehrere Leute auf engstem Raum zusammensitzen, sitzt in der Regel jeder vor seinem eigenen Computer und kommuniziert mit den anderen Teilnehmern auf elektronischem Wege, oft in Form von mehr oder weniger emotional zu steuernden Computerspielen, die das klassische Brettspiel mit seiner fast zwangläufig entstehenden Kommunikation zwischen den Teilnehmern immer mehr aus unserer Zeit verdrängen.

Die Gefahr ist groß, dass Nutzer sich hier in ihre bunte Welt immer mehr hineinsteigern und das reale Leben immer mehr in den Hintergrund rückt. Reale soziale Bindungen gehen zu Bruch, weil der Nutzer sich immer mehr in die virtuelle Welt hineinversetzt, in der zwischenmenschliche Kontakte vermeintlich nur per Knopfdruck bequem auf- und wieder abgebaut werden können. Oft entsteht bei solchen virtuellen Kontakten nur eine Illusion von Zusammengehörigkeit, die sich sehr schnell in realen Treffs als kurzlebige Seifenblasen entpuppen. Der so pflegeleichte Kontaktauf- und -abbau ist sich nicht selten nur in der virtuellen Welt so, in Wirklichkeit hat man es meistens mit völlig anderen, komplizierten Menschen zu tun, die nur in der virtuellen Welt die Persönlichkeit darstellen, unter der man sie einst darin kennen gelernt hat.

In diesem Zusammenhang interessant sind so genannte Channel-Partys, reale Treffen von Teilnehmern eines Chatforums: Recht schnell bilden sich die typischen "Grüppchen", von denen nicht wenige recht schnell auf das Verlegenheitsthema "Computer" kommen. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl bildet sich, wenn überhaupt, nur sehr langsam, viele kommen schlicht und einfach nicht aus ihrer eigenen Welt heraus; sie können sich inzwischen besser in den klar definierten Grenzen einer virtuellen Umgebung artikulieren, als in einer realen.

Faszination?

Menschen sind in virtuellen Welten viel schneller einsam, als sie selbst glauben mögen. Die faszinierend bunte und vielfältige Welt von Diskussionsforen und Chats gaukelt eine merkwürdig glaubwürdig wirkende Gemeinschaft vor, die in der realen Welt überhaupt nicht oder nur in eingeschränkt übertragbarer Form existiert.

Eine erhebliche Portion Skepsis und Selbstdisziplin ist notwendig, um nicht regelrecht gefangen von der Faszination Internet zu sein, denn erst zu allerletzt bemerkt dies leider der Nutzer.

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